Schaltberechtigung rechtssicher organisieren

Schaltberechtigung - Schaltbefähigung - Erden und Kurzschließen - Elektrofachkraft - 5 Sicherheitsregeln

Bild: Kursteilnehmer beim praktischen Anwenden der 5 Sicherheitsregeln; Erden und Kurzschließen (Foto: Florian Pusch)

 

Rechtssichere Organisation im Unternehmen, Ausbildungskonzept und Bestellvorgang für schaltberechtigte Elektrofachkräfte

 

Elektrofachkräfte (EFK) sowie befähigte Personen und in besonderen Fällen „Elektrotechnisch unterwiesene Personen“ (EUP) in Energieversorgungs-unternehmen (VNB), der Industrie, in Gewer­be- und Handwerksbetrieben, im öffentlichen Dienst bei Windkraftanlagenbetreibern, der Deutschen Bahn und in anderen Institutionen mit Starkstromanlagen führen täglich Schaltungen in elektrischen Netzen und Anlagen durch. Die Organisation bzgl. der Abläufe, Qualifikation der Schaltbefähigten und die Schaltgespräche werden in den Unter­nehmen verschieden durchgeführt. Oft fehlen einheitliche Betriebsrichtlinien.

 

So können durch menschliche Fehlschaltungen, technische Unzulänglichkeiten und Organisationsschwachstellen oftmals schwere elektrische Unfälle verursacht werden. Betriebsstörungen von beträchtlichem Ausmaß und unter Umständen auch Personen­schäden mit Tod oder Invalidität können die Folge sein. Es entstehen hohe Kosten, negatives Ansehen und auch Geld- und Haftstrafen werden für die Verursacher und verantwortlichen Personen gerichtlich ausgesprochen. In keiner Vorschrift und Bestimmung ist das Thema der Schaltberechtigung ausführlich beschrieben.

 

Hier ist der Unternehmer mit seinem Führungsteam aufgefordert aus den vorhandenen Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften mit den zugehörigen Regeln sowie den "Allgemein anerkannten Regeln der Technik" (z. B. DIN-Normen, VDE-Bestimmungen u. a.) die zugehörigen Vorschriftentexte herauszuziehen und diese für den Betrieb in eine Anweisung für die Mitarbeiter festzuschreiben. Zum sicheren Betrieb elektrischer Anlagen gehören das Bedienen und das Arbeiten.

 

Sind in Ihrem Unternehmen die organisatorischen Abläufe hierfür klar geregelt?

 

Wer darf in Hochspannungsanlagen

Wo,

Welches Betriebsmittel

Wann schalten / betreiben?

 

Organisationsrichtlinien im Unternehmen

In Gesprächen mit Fachkollegen war zu erfahren, dass immer häufiger neben den Unfallversicherungsträgern, den Berufsgenossenschaften auch die Gewerbeaufsichtsämter die Organisation bezüglich der Schaltberechtigung hinterfragen. Die Schaltberechtigung ist zwar nicht direkt vom Gesetzgeber vorgeschrieben, doch hat sie eine ähnliche Bedeutung erlangt. In EVU / VNB ist die Schaltberechtigung in der Werksvorschrift verankert. In Industrie und Handwerk ist analog dieser Trend feststellbar, zumal die Unternehmen die Festlegung der Organisation für die Zertifizierung des Qualitätssicherungssystems nach ISO 9001 benötigen.

 

Es geht um die Qualifikation einer befähigten Person, die eigenverantwortlich Schalthandlungen in elektrischen Anlagen durchführt und dafür eine Berechtigung erhält. So kann dem Unternehmer kein Organisationsverschulden nachgewiesen werden.

 

Auch im Zuge der Liberalisierung - mit dem Aufspüren und Umsetzen von Kostensenkungspotenzialen - wird die Schaltberechtigung von bisher einigen auserlesenen Personen ( z.B. Schaltmeister) auf eine breite Basis der Mitarbeiter gelegt, die ihre Betriebsmittel selbst freischalten um daran zu arbeiten. Eine zweite Person die die Schaltung beaufsichtigte wird nicht mehr bereitgestellt. Die Entwicklung geht weiter zu multifunktionalen Fachkräften, die sich auf den Gebieten Gas, Wasser, Strom auskennen. Monteure werden zur „EUP“ ausgebildet und erhalten eine eingeschränkte Schaltberechtigung.

 

Hier ist der Unternehmer mit seinem Führungsteam gefordert das Unternehmen auch hinsichtlich der Schaltberechtigung RECHTSSICHER zu ORGANISIEREN.

 

Es geht hier um das ZIEL:

 

NULL Fehlschaltungen – NULL Unfälle

  • zur persönlichen Sicherheit, zur Gesunderhaltung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • zur Sicherheit für die Kollegen und Mitarbeiter
  • für einen optimalen Betrieb elektrischer Anlagen
  • zum Schutz der Umwelt
  • und einen reibungslosen Betriebs- und Produktionsablauf

Der Unternehmer

  • Vorstand einer Aktiengesellschaft oder
  • Geschäftsführer einer GmbH oder
  • Inhaber des Betriebes

kann sich ein geeignetes Organisationsmodell auswählen, so dass der Betrieb zweckmäßig gegliedert ist, der Betriebsablauf funktioniert und die Verantwortungsbereiche klar be­zeichnet und abgegrenzt sind.

 

Die Führungspflichten des Unternehmers und der betrieblichen Vorgesetzten ergeben sich aus Gesetz und Rechtsprechung. Sie lassen sich für alle Vorgesetzten in der betrieblichen Hierarchie auf folgende Verantwortung zurückführen

  •  Organisation
  • Auswahl
  • Einsatz
  • Aufsicht

Auf die Schaltberechtigung bezogen ergibt sich daraus der rote Faden

 

WER darf

WO

WELCHES Betriebsmittel

WANN schalten

 

Im Folgenden werden die vier W`s erläutert.

 

WER

Hier geht es um ein Anforderungsprofil für eine befähigte Person die zukünftig schalten darf. Die persönliche Qualifikation besteht aus der erforderlichen Eignung, Neigung und Gesundheit. Die fachliche Qualifikation einer Person mit Schaltbefähigung besteht in der Regel durch die Qualifikation zur Elektrofachkraft.

 

Entsprechend VDE 0105-100 ist die ELEKTROFACHKRAFT eine Person, die auf Grund

  • ihrer fachlichen Ausbildung (z.B. Elektroingenieur, Elektromeister/Techniker, Gesel­le),
  • ihrer Kenntnisse und Erfahrungen,
  • sowie Kenntnisse der einschlägigen Bestimmungen (UVV, VDE u.a.),
  • die übertragenen Arbeiten beurteilen
  • und mögliche Gefahren erkennen kann - im übertragenen Sinn "hellseherische Fähigkeiten" be­sitzt – um Unfälle zu verhüten.

Diese allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten reichen jedoch für die Erteilung einer Schaltberechtigung noch nicht aus.

 

Ein Schaltgerät kann jeder Laie ein- oder ausschalten. Bei der professionellen Schaltberechtigung geht es um mehr. Wenn eine Kabelstrecke oder ein Transformator freischaltet werden soll, muss sich die Person vorher Gedanken machen welche Auswirkung diese Schaltung hat. Welche Absprachen müssen getätigt werden? Wer ist wann zu informieren? Können vorher in einer anderen Spannungsebene Netzumschaltungen vorgenommen werden um eine Versorgungsunterbrechung zu verhindern? Welche Stromflusswege gibt es noch die freigeschaltet werden müssen sowie andere von Fall zu Fall unterschiedliche Maßnahmen die erforderlich sind?

 

Bei einer nicht geplanten Schaltung - also bei einer Störung - liegen die Anforderungen bedeutend höher, weil situationsbedingt gehandelt werden muss. Hier ist eine sehr gute Qualifikation gepaart mit Erfahrung erforderlich.

 

Folgende Zusatzkenntnisse benötigt der Schaltberechtigte

  • Ortskenntnisse: Wo befinden sich die elektrischen Schaltanlagen?
  • Anlagenkenntnisse: Im Unternehmen gibt es z. B. 40 Jahre alte, luftisolierte Anlagen mit noch sichtbaren Schalterstellungen und neue, fabrikgefertigte, typgeprüfte Anlagen, die sogar hermetisch verschlossen sind. Die GIS – gasisolierten Schaltanlagen.
  • Netzkenntnisse: Über welche Kabel oder Freileitungen fließt der Strom? Können Generatoren einspeisen? Wie groß sind die Kurzschlussströme im Fehlerfall?
  • Lastflusskenntnisse: Wie groß sind die Ströme in den einzelnen Systemen vor der Schaltung, was passiert wenn geschaltet wird, wie hoch sind die Ströme nach der Schaltung, was wird spannungslos, kann vorher eine Netzumschaltung in einer anderen Spannungsebene vorgenommen werden um die Versorgungsunterbrechung zu vermeiden ?
  • Brandbekämpfung: Kenntnisse der VDE 0132, Löschmittel. Abstände ...
  • Erste Hilfe, Herz- Lungen-Wiederbelebung
  • Sonstige Spezialkenntnisse die im Unternehmen erforderlich sind

WO UND WELCHE BETRIEBSMITTEL

Grenzt die Verantwortungsbereiche des Schaltberechtigten ab.Der Unternehmer legt fest, welche Betriebsmittel in welcher Spannungsebene und Werksteilen / Örtlichkeiten / Netzteilen geschaltet werden dürfen.

 

WANN

Beschreibt die Zeitkomponente. Ist die Schaltberechtigung zeitlich begrenzt oder unbegrenzt? Handelt es sich um eine allgemeingültige SB oder eine begrenzte Schaltberechtigung für festgelegte Tätigkeiten?

 

Hierzu ein Beispiel zur Erläuterung

 

Ein Schlosser soll für Instandhaltungszwecke an einem 5-kV Motor arbeiten. Zum sicheren Arbeiten muss der Motor entsprechend den fünf Sicherheitsregeln freigeschaltet werden. Hierfür erhält der Monteur eine besondere Schaltberechtigung nach Ausbildung / Qualifizierung zur EUP und entsprechend eine speziellen Arbeitsanweisung für diese Schaltung. Mehr darf er nicht schalten. Wenn während der Schaltung eine Besonderheit oder ein Fehler auftritt ist die EFK zu rufen um den Fehler zu suchen und zu beheben.

 

Durch die Erfolgskontrolle - eine Abschlussprüfung in Theorie und Praxis - wird die Qualifikation dokumentiert.

 

Der Bestellvorgang durch den Unternehmer / die Führungskraft erfolgt in schriftlicher Form. Im Buch Schaltberechtigung der VDE Schriftenreihe 79 finden Sie einige Musterformulare für den Bestellvorgang.

 

Hierzu zeigt die folgende Tabelle eine einprägsame Parallele zwischen Schaltberechtigung und Führerschein

 

Der LKW-Führerschein im Vergleich zur Schaltberechtigung

 

 

Führerschein

Schaltberechtigung

Theorie

Theorie

§  Kenntnisse der Berufskraftfahrer

§  Kenntnisse der Elektrofachkraft

§  Gesetze, Unfallverhütungsvorschriften,

   Normen, Bestimmungen

§  Gesetze, Unfallverhütungsvorschriften,

   Normen, Bestimmungen

§  Begriffe, Fachausdrücke

§  Begriffe, Fachausdrücke

§  Sicherheitsschilder

§  Sicherheitsschilder

§  § 1 StVO (Straßenverkehrsordnung)

§  Unfallverhütungsvorschrift

§  DGUV V3, VDE 0105,
5 Sicherheitsregeln ...

§  Kfz-Technik

§  Grundlagen der Elektrotechnik

Praxis

Praxis

§  Erfahrung

§  Erfahrung

§  Arbeiten beurteilen, mögliche Gefahren erkennen

§  Arbeiten beurteilen, mögliche Gefahren erkennen

§  zur eigenen Sicherheit und für eine rei­bungslose Fahrt

§  zur eigenen Sicherheit und zum rei­bungslosen Betriebsablauf

 

 

 

Professionalität ist hier angesagt!

 

Wer also als pflichtbewusster Unternehmer die Schaltberechtigung in seinem Betrieb so organisiert, muss keine haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen, wenn einmal ein Unfall passiert ist. Das gleiche gilt für die vom Unternehmer eingesetzten Vor­gesetzten und Aufsichtspersonen.

 

Die haftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen reichen

  • vom Bußgeld, wegen Verstoßes gegen die Unfallverhütungsvorschriften,
  • über Regress der Berufsgenossenschaft gegen den Unternehmer (bzw. der Vorge­setzte, die Aufsichtsperson), der es schuldhaft (grob fahrlässig) unterlassen hat, darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter die Arbeitsschutzvorschriften beachten, und wenn es durch sein "Unterlassen" zum folgenschweren Unfall kam,
  • bis zur strafgerichtlichen Verurteilung (bei fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung) des Unternehmers (bzw. der Vorgesetzte, die Aufsichtsperson), wenn durch sein Unterlassen (einfache Fahrlässigkeit reicht aus) ein Mitarbeiter zu Schaden kam. 

Wer sich jedoch so verhält, wie es ein pflichtbewusster Unternehmer (bzw. der Vorge­setzte, die Aufsichtsperson) mit gleichen Aufgaben und Mitteln und in gleicher Position und Situation getan hätte, haftet nicht. Denn dann hat er verantwortungsbewusst gehandelt und somit nichts fahrlässig unterlassen.

 

Nach der Betriebsrichtlinie "Schaltberechtigung bzw. Schaltdienstanweisung" wird jeder befähigten Person bekannt sein, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Maßnah­men und Mitteln Schaltungen durchgeführt werden. Um ein Höchstmaß an Betriebs- und Versor­gungssicherheit - verbunden mit einem Optimum an Arbeitssicherheit - zu erreichen, ist es erforderlich, nach der vorgegebenen Richtlinie und der einheitlichen Schaltsprache zwi­schen Schaltauftrags- und Schaltberechtigten für den Schaltbetrieb zu verfahren.

 

Jeder Schaltberechtigte muss seinen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich kennen. Die Mitarbeiter sollen die festgelegten Betriebsrichtlinien mit tragen und motiviert sein, danach zu handeln.

 

Die bisher aufgeführten Forderungen sind u. a. aus dem Arbeitsschutzgesetz zu interpretierten.

 

Im §4 sind „Allgemeine Grundsätze“ beschrieben

  • Verhindern von Gefährdungen für Leben und Gesundheit
  • Bekämpfen der Gefahren an der Quelle
  • Berücksichtigen von anerkannten Regeln der Technik, Arbeitsmedizin, Hygiene
  • Planen von optimalen Arbeitsbedingungen
  • Einsetzen von Arbeitsschutzmaßnahmen
  • Berücksichtigen von speziellen Gefahren
  • Erlassen von geeigneten Anweisungen

Außerdem sind in der UVV DGUV V1 „Allgemeine Unfallverhütungsvorschrift“ u.a. Forderungen an den Unternehmer und natürlich im übertragen Sinn für alle versicherten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachzulesen.

 

Die DGUV V3 - Elektrische Anlagen und Betriebsmittel - verpflichtet den Unternehmer im §3 Abs.1: dafür zu sorgen, dass elektrische Anlagen und Betriebsmittel nur von einer (verantwortlichen) Elektrofachkraft oder unter Leitung und Aufsicht einer EFK den elektrotechnischen Regeln entsprechen errichtet, geändert und instand gehalten werden. Ferner hat der Unternehmer dafür zu sorgen, dass die elektrischen Anlagen und Betriebs-mittel den elektrotechnischen Regeln entsprechend betrieben werden.

 

In der DIN VDE 0105 Teil 100 (Betrieb von elektrischen Anlagen) ist festgelegt, dass das Freischalten vor Arbeiten oder die Freigabe zum Wiedereinschalten nach der Arbeit im spannungsfreien Zustand durch Elektrofachkräfte oder elektrotechnisch unterwiesene Personen durchgeführt werden muss.

 

Hier ist der Unternehmer im Einvernehmen mit dem Votum der verantwortlichen Elektrofachkraft gefordert die qualifizierten Personen auszuwählen, einzustellen/ einzusetzen und wenn erforderlich, vorher durch den Schaltanlagenhersteller / Errichter einweisen zu lassen, einen internen oder externen Lehrgang auf dem Gebiet der Schaltberechtigung besuchen zu lassen, um die erforderlichen Spezialkenntnisse zu erwerben.

 

Die Erteilung der Schaltberechtigung kann jedoch nie der Schaltanlagenhersteller/ Errichter, oder Trainer eines Weiterbildungsinstituts vornehmen, sondern lediglich die Vorbereitung für den Bestellvorgang sein.

 

Die schriftliche Erteilung der Schaltberechtigung obliegt dem Unternehmer / der Führungskraft im Unternehmen. Entweder durch die Stellenbeschreibung mit dem entsprechende Anforderungsprofil oder einer separaten schriftlichen „Schaltberechtigung“

 

Professionalität ist hier angesagt!

 

Wer also als pflichtbewusster Unternehmer die Schaltberechtigung in seinem Betrieb so organisiert, muss keine haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen, wenn einmal ein Unfall passiert ist. Das gleiche gilt für die vom Unternehmer eingesetzten verantwortlichen Elektrofachkräfte, Vor­gesetzte und Aufsichtspersonen, die Anlagen- und Arbeitsverantwortlichen.

 

Das alles mit dem Ziel:

 

NULL Fehlschaltungen – NULL Unfälle

  • zur persönlichen Sicherheit, zur Gesunderhaltung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • zur Sicherheit für die Kollegen und Mitarbeiter
  • für einen optimalen Betrieb elektrischer Anlagen
  • zum Schutz der Umwelt
  • und einen reibungslosen Betriebs- und Produktionsablauf